Stimmen zum Beratungsschein der Kirche aus einer Selbsthilfegruppe von Frauen, die abgetrieben haben.

Von Isabelle Löwenstein

HOFHEIM (DT). Wie denken eigentlich Frauen, die selbst eine Abtreibung hinter sich haben, über die Ausstellung eines Beratungsscheins durch die katholische Kirche? Der eingetragene Verein Rahel mit Sitz im Taunus, eine Selbsthilfegruppe für Frauen, die abgetrieben haben, ist überkonfessionell. Die Vorsitzende, Gisela Koch aus Bremen, ist evangelisch, ihre Stellvertreterin katholisch. Die Rahel-Frauen stehen denen zur Verfügung, die schwer unter den Folgen eines solchen Eingriffs leiden, und das seien, so warnen sie, die weitaus meisten.

Die meisten Mitglieder des Vereins haben selbst ein solches Trauma erleben müssen. Einer der Frauen riet ein Arzt, als sie im achten Schwangerschaftsmonat war, das ungeborene Kind, an dem man ein Down-Syndrom festgestellt hatte, zu beseitigen. Der unverantwortliche Mediziner machte der jungen Frau Angst: Er selbst habe einen Neffen, der „mongoloid" sei, und das sei in der Familie die Hölle auf Erden. „Ich habe gesagt: Aber das arme Seelchen!", berichtet uns die Frau. Aber als sie dann weinend dastand, hörte sie den Arzt die verhängnisvollen Worte sagen: „Treiben Sie ab, solange es noch Zeit ist!" Sie bekam schon für den nächsten Tag einen Termin. Alle Beteiligten, die Ärzte und Schwestern, seien höflich gewesen und nett. „Das trägt". Es geschah in Narkose, sie spürte nichts. Man habe ihr die Tür aufgehalten, und da sei sie eben durchgegangen. „Es ist der einfache Weg, die anderen Türen sind verschlossen. Und dann kommt hinterher das heulende Elend."

Da brauche man vorher Hilfe, sagt sie uns, und fügt dann entschieden hinzu:

„Aber die Hilfe ist nicht da, wenn dann doch der Beratungsschein ausgestellt wird. Es ist der Schein, der die Abtreibung freigibt." Wer zur Abtreibung entschlossen sei, der suche sich irgendeinen Weg dazu, ob mit oder ohne Beratung. Frauen jedoch, so meint sie, die zweifelten oder nicht abtreiben wollten, aber unter dem Druck äußerer Zwänge stünden, würden sehr wohl eine Stelle aufsuchen, wo sie nicht auch noch durch einen Beratungsschein dazu verleitet würden, dem Drängen des Umfelds nachzugeben.

Eine der Frauen, der die Gruppe Rahel geholfen hat, die schweren psychischen Folgen der Abtreibung zu erkennen und mit der Verarbeitung zu beginnen, berät nun selbst Opfer des berüchtigten „Post-abortion-Syndroms".

Sie hat in einer Umfrage festgestellt, daß nahezu alle Frauen zugaben, sie hätten das Ungeborene angenommen, wenn sich der Partner zu ihnen gestellt, wenn sich jemand wirklich über das Kind gefreut hätte. Stattdessen gab es von allen Seiten Druck, „und da ist der Scheinaussteller der Problemloser Nummer l". Dabei sei die ungewollte Schwangerschaft doch nur so etwas wie die Spitze des Eisbergs der sich auftürmenden Sorgen.

Der Schein, so meint Christa Heinel, Gründerin der Gruppe Rahel, schiebe der Frau zuletzt wieder die ganze Last zu. In einem Gespräch hörte sie sogar eine katholische Schwangeren-Beraterin behaupten, Abtreibung könne auch eine „Erlösung" sein. Frau Heinel, die jahrzehntelang unter den Folgen ihrer eigenen Abtreibung gelitten hat, fragte da nur zurück, „was diese Frau eigentlich für eine Vorstellung von Erlösung hat". Über die Folgen der Abtreibung werde viel zu wenig diskutiert bei der Schwangerenberatung, die ja dem Gesetz nach „ergebnisoffen" zu führen sei.

Frau Heinel hat allerdings später auch, als sie sich zu ihrer Abtreibung bekannte, um auf die furchtbaren Folgen hinzuweisen, die Unbarmherzigkeit mancher Katholiken in der Gemeinde gespürt, die ihr dann aus dem Weg gingen. In der Schule, an der sie unterrichtete, legte man ihr sogar Steine in den beruflichen Weg. „Eine Mörderin soll nicht unsere Kinder unterrichten", hieß es.

Man weist bei Rahel darauf hin, daß die Kirche einerseits bei Abtreibung die höchste Strafe vorsieht, nämlich die Tatstrafe der Exkommunikation, andererseits aber den Schein ausstelle, der eine Voraussetzung für die Abtreibung ist. An diesem Widerspruch drohte der Verein vor einiger Zeit sogar auseinanderzubrechen. Der Gründerin wurde die Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche, auf die sie auch Wert legt, übelgenommen. Die Abtreibung zu verdammen, aber den Schein auszustellen, das sei doch unehrlich, kritisiert uns gegenüber die - katholische - stellvertretende Vorsitzende.

„Kann ich denn guten Gewissens sagen: Da ist der Beratungsschein, mach damit, was du willst? Da würde ich doch fahrlässig handeln und die Frau geradezu ins offene Messer rennen lassen." Diese Antwort würde die Vorsitzende Gisela Koch einem Bischof geben, wenn er sie fragen würde, wie er in der Frage des Beratunsscheins entscheiden solle. Sie habe bitter erleben müssen, wie gravierend die Folgen einer Abtreibung sind, daher könne sie nicht für einen Schein sein, mit dessen Hilfe eine Abtreibung vollzogen werden könne. Dieses Papier richte sich gegen die Frau. Das ungeborene Kind werde sowieso nicht gefragt, aber mit seiner Tötung sterbe auch immer ein Teil der Mutter, meint Frau Koch und fragt: „Würden Sie denn jemanden, von dem Sie wissen, daß er sich halb umbringt dabei, empfehlen: Ja, mach das mal? Das ist doch lieblos. Ich würde einem Bischof sagen: Sie müssen aus Nächstenliebe handeln."